Reiten mit Handpferd
Wotan, heute kommst Du mit, als Handpferd, wir probieren das einfach mal.
Minchen und Wotan verstehen sich prima, sie kennen sich seit Minchen
als kleines Saugfohlen zu uns kam und gehen zusammen durch Dick und Dünn.
Allerdings läuft Wotan in fortgeschrittenem Alter barfuß etwas
langsamer als das junge beschlagenen Minchen. Ich würde also zumindest
lange Arme bekommen. Andererseites beherrscht Wotan Befehle wie "bleib
dahinter, es kommt ein Auto" oder "neee, andere Seite" ganz prima. Auch
Minchen kann mit meinen "ein kleines bisschen vor" oder ein großes
bischen zurück bitte" duchaus etwas anfangen, jedenfalls manövriere
ich sie so erfolgreich durch ein Tor im Trailparcour, wenn ich mit Schenkel
oder Gewichtshilfen schon lange keine Chance mehr habe.
Heute habe ich keine große Runde vor, gerade richtig für
ein Seniorenpony. In Gedanken gehe ich die Breite der Wege durch, sind
stark befahrene Abschnitte dabei? Eigentlich keine besonderen Schwierigkeiten.
Praktisch wäre jetzt ein Knotenhalfter, aber obwohl mein Sattelschrank
bis unter die Decke vollgestopft ist, dieses ist nicht dabei. Nun gut,
ein normales Stallhalfter wird es auch tun, die Trense möchte ich
nicht nehmen, denn falls Wotan sich hinterher schleifen läßt,
schlägt das Mundstück an die Zähne. Einen langen Strick
brauchen wir und Minchens Trense natürlich. Beide Pferde sind geputzt,
wochenendfein gemacht, denn es ist ja noch hell, und schon machen wir uns
auf. Wotan rechts, Minchen links führe ich meine beiden Pony über
die Steine. Nun kommt die erste Hürde, das aufsitzen. Sobald ich auf
Minchens linker Seite verschwinde, stürzt mein gefräßiger
Senior sich auf das Gras und das läßt auch Minchen sich nicht
zweimal sagen. Hauruck, werdet ihr wohl! Mit einem Satz schwinge ich mich
auf Minchens Rücken, geübt ist geübt und Minchen bleibt
ausnahmsweise brav stehen. Toll.
Auf mein Zeichen treten beide Pferde an, doch Wotan bummelt entäuscht
hinterher, während Minchen versucht den Araber vor uns einzuholen.
Langsam Minchen, langsam, der Wotan ist nicht so schnell. Mein Zupfen am
Strick wird mit ärgerlichem Kopfschlenkern beantwortet, also geben
ich nach. Den Kopf an Minchens Flanke wirkt Wotan zufrieden so hält
er mit.
Upsalla, was war das? Minchen hebt den Schweif, sie muß mal und
Wotan nutzt das schnell aus von den Brombeeren zu naschen, liii, ist das
stachelig. So, Wotan, nun aber mal voran, Du kannst das, ich weis das.
Links von uns plätschert der Bach, da muß Wotan mal gucken,
geht ja nicht, wenn man so an Minchens Flanke läuft. Mein Arm wird
länger und länger. "Wotan! andere Seite". Und Wotan versteht.
"Nanu, da haben sie aber einen Reiter verloren" - ja, so ungefähr.
Das Tonschaf ist wie immer aufregend, aber mit Wotan dabei ist es nur
noch halb so schlimm. Der Hund "der angeflitzt kommt aber nicht bellt"
ist heute nicht im Garten, um so besser. Ein Haus bekommt ein neues Dach,
kein Problem für meine beiden Ponys. Der Weg ist frei, wir könnten
eigentlich mal ein Stückchen... Traben? Wotan, Traben. Nööööö
- Doch!. Wotan, Du zuerst, Teeeraaab. Minchen will gleich losschießen,
ein Schauder fährt durch ihren blanken Rücken. Das Wunder geschieht,
Wotan trabt an, Kopf an Kopf laufen meine beiden Pferdchen, mein rechtes
Bein schön warm zwischen den flauschigen Leibern.
Wir kommen an die Straße, parieren durch. Hier kommen ein paar
Autos, aber es ist nur ein kurzes Stück über die Brücke,
danach kommt ein wilder Schotterparkplatz, da können wir ausweichen.
Ich lasse den Strick so lang wie es geht, Wotan läuft brav hinter
Minchens Schweif, kein Hindernis für die Autos. Beim Rudi vorbei wird
es wieder eng, Wotan bevorzugt den Randstreifen. Ein Auto quetscht sich
an uns vorbei, genau da wo ein Altkleidercontainer uns den Weg versperrt,
genau vor der Kurve... Duch den kahlen Winterwald sehe ich kein Auto kommen,
wir biegen nach Links ab in die Biesenbach. Hier werden Rohre verlegt,
der tiefe Graben ist mit Stahlplatten abgedeckt. Minchen kennt das schon,
laut klappern ihre Eisen über das Metall, Wotan schreitet tapfer hinterher.
Nun läuft es besser. Wotan hat Spaß an unserem Ausflug,
schreitet mächtig aus, schiebt sich an Minchen vorbei. "OK, geh Du
vor", denkt Minchen sich und legt die Bremse ein, meinen Schenkeldruck
geflissentlich überhörend. "Minchen, Du bist ein Kutschpferd,
die können NEBEN einander laufen". Öhhh, hmhm. Nagut.
Munter spielen die Ohren, eingehüllt in dichten Winterpelz, wippen
vor und zurück, je nachdem, welche Nase sich gerade weiter vor schiebt.
Oh weh, quer über unseren Abzweig zieht sich ein tiefer Graben,
der Auswurf versprerrt den Rest und um auch wirklich jeden Zweifel im Kern
zu ersticken ist ein hübsches rot weißes Flatterband gespannt.
Da müssen wir uns wohl einen anderen Weg überlegen. Wir reiten
einfach weiter gerade aus, hier war ich zwar noch nie, aber wir werden
schon irgendwo auskommen, umkehren können wir immernoch. Schon die
nächste Kreuzung ist wieder bekanntes Gebiet, allerdings fahren hier
viele Autos viel zu schnell. Wir wählen einen Weg links zwischen den
Häusern hindurch, hier ist es ruhiger. Da sind wir auch plötzlich,
wo wir eigentlich lang wollten, auf der anderen Seite vom Graben. Der Asphalt
geht in Schotter und schließlich in Wiese über. Weicher Boden!
Meinen Pferden kribbeln förmlich die Hufe. Kaum merklich gebe ich
mein Einverständnis schon traben sie los, wollen mehr, aber bei unserem
ersten Ausflug mit Handpferd belasse ich es lieber in dieser Gangart. Tiefe
Treckerspuren, noch hart vom Frost der letzten Tage bereiten dem Vergnügen
ein jähres Ende. Vorsichtig setzen meine Beiden die Hufe, einen vor
den anderen.
Am Classhäuschen schaut Wotan sich neugierig um, das kenn ich
doch! Es kommt zwar gerade kein Auto, trotzdem müssen die Pferde anhalten
- als Übung - klappt hervorragend. Nun geht es über die Höhen,
die schöne Aussicht. Wotan schiebt sich wieder an Minchens Schulter
heran, ruck, da hat er doch wieder genascht, Du ungezogenes Pony!
An der großen Eiche betreten wir ein verlassenen Stoppelfeld,
hui, da könnte man doch?, es fehlt nicht viel und Wotan entfährt
ein freudiger Buckler - oh nein, Wotan JETZT NICHT. - Na schön, dann
traben wir eben um die Wette. Die klare kalteWinterluft treibt mir die
Tränen in die Augen, Wotan stürmt voran, Minchen hinterher. An
der großen Pfütze parieren sie freiwillig durch, umgehen das
kühle Naß und gleich traben wir wieder an bis zur Ecke. Dort
wird es glischtig und abschüssig, so daß sie wieder im Schritt
gehen müssen. Wotan läuft wieder perfekt an Minchens Flanke.
Plötzlich peng, ich halte nur noch den äußersten Knoten
vom Strick zwischen Daumen und Zeigefinger, liege fast auf Minchens Po
und hänge in ihren Zügeln. Wotan ist stehengeblieben, nun muß
er mal. "Minchen, zuuurück, der Wotan muß mal". Minchen weicht
zwei winzige Schritte zurück, gerade genug, daß ich wieder in
die Senkrechte komme, gerade genug, um die Zügel freizubekommen und
blitzeschnell ein Büschel Gras zu ergattern. Miststück! Wotan!
Du auch nicht. Weiter im Text.
Bergab geht Wotan besonders vorsichtig, bedächtig setzt er einen
Huf vor den anderen, läßt sich durch Nichts aus der Ruhe bringen.
"Laaangsam, Minchen, laaangsam". Oh, und wie langsam Minchen plötzlich
so einen Berg hinabschreiten kann. Ihr zwei seid schon ein tolles Gespann.
Wotan läuft nun wieder am langen Strick genau hinter Minchens Schweif,
denn hier könnten Autos kommen, doch es ist nur ein Einzelnes, das
uns begegnet, an einer besonders breiten Stelle.
Fast sind wir wieder zu Hause, nur noch ein paar Häuser. Hinter
einem Tor liegt ein Golden Retriever, dem kommen wir zu bedenklich nahe,
er erhebt sich - mehr nicht. Hoppla, Minchen springt einen erschreckten
Satz nach vorne, Wotan bleibt wie angewurzelt stehen, der Strick baumelt
frei herunter. "Wotan komm her". Wotan äugt zu mir rüber, macht
Anstalten, sich hinter Minchen einzureihen. "Minchen, geh mal ein Stückchen
zurüüück". Wotan setzte sich in Bewegung, vertraut stecken
die Pferde die Nasen zusammen, ich beuge mich herüber, angele nach
dem Strick - na, geht doch prächtig. Den Strick wieder sicher in meiner
Hand setzten wir unseren Heimweg fort. Unten an der Treppe lasse ich noch
einmal anhalten, sitze ab, der Einfachheit halber nach rechts, gierig senken
meine Ponies die Köpfe ins spärliche Wintergras. Können
wir ruhig öfter machen, so einen gemeinsamen Ausflug.
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