Stecken im Sumpf

Nur Mut, einmal müssen wir die Gegend ja kennen lernen. Ich habe Urlaub, es ist ein wunderschöner Tag, die Sonne lacht vom wolkenverhangenen Himmel und auch sonst paßt alles zusammen. Heute reiten wir einmal nach Karte. Statt wie sonst rechts abzubiegen, wollen wir probieren, wohin der Weg führt, wenn man ihm links folgt.

Die Wildgänse ziehen laut schnatternd ihre Bahnen am Himmel, hübsch ordentlich immer im V fliegend. Sogar Minchen hält nach ihnen Auschau. Der Reiher in der Wiese bewegt sich nur in Zeitlupe, beäugt uns scharf. Was bedeutet es, wenn die Wildgänse fliegen? Der Winter naht? Wetterumschwung? Der erste Schnee? Ich weiß es nicht. Noch darüber sinnierend gelangen wir auf die Anhöhe. Dort treffen wir auf ein kleines schwarzes Pony mit einer ebenso kleinen Reiterin in Begleitung von Mutter und Hund. Die Pferde wollen sich gerne kennenlernen, als Herdentier hat keines der Beiden große Lust, den Weg alleine fortzusetzen. Doch die Reiter sind anderer Meinung. Während das Pony noch kurz zögert, setzt Minchen ihren Weg in die gewünschte Richtung fort. Riesige Pfützen zwingen uns ins Feld auszuweichen. Plötzlich ertönt lautes Rufen und Hufgetrappel hinter uns und tatsächlich, das kleine schwarze Pony kommt in fliegendem Galopp auf uns zu - ohne Reiterin - der Hund hinterher. Ich springe ab, versuche, es aufzuhalten, doch es rast über das vor Wasser quitschende Feld an uns vorbei, den Hund auf den Fersen und Sekunden später sind die Zwei hinter der Kurve verschwunden. Dort ist es wohl zu Hause und wird dort wieder eingefangen werden. Minchen ist mächtig erbost, möchte am liebsten hinterher, doch die Zügel hindern sie.

Nun fällt die Entscheidung, rechts oder links? Den Weg rechts gibt es nicht, oder jedenfalls nicht dort, wo er laut Karte sein soll, aber links ist es genau so, wie ich es erwarte. Ein schlammiger Wiesenweg führt und an einer Pferdekoppel vorbei, an der nächsten Gabel nehmen wir den rechten Ast. So sollten wir im Bogen wieder zurück gelangen. Der Weg ist schmal, abschüssig und rutschig. Eine Spaziergängerin mit jungem Hund ist überrascht über unsere Entscheidung, läßt uns aber gerne vorbei. An der nächsten Kreuzung entscheidet Minchen sich für Links. Ich werde nicht gefragt und sie hat es mal wieder so eilig, daß für einen Blick in die Karte keine Zeit bleibt. Aber sie hatte ausnahmsweise mal recht. Wieder gabelt sich der Weg, da rechts ein rundes blaues Fußgängerschild steht, strenggenommen der Weg für uns also nicht erlaubt ist, entschiede ich mich für links. Nun wird es wirklich eng und rechts steht ein Stacheldrahtzaun, dessen Draht zu allem Überfluß zum Teil außen um die Pfosten gewickelt ist. Und matschig ist es auch, das behagt Minchen garnicht und so drängelt sie nah an den Zaun heran. Da bleibt für mein Bein wirklich kein Platz mehr und ich bringe es schnell in Sicherheit. Minchen bahnt sich ihren Weg durch die Pfützen. Über uns ziehen wieder die Wildgänse ihre Kreise. Krähen lassen sich mit lautem Geschrei in den Bäumen nieder. Endlich weicht der Weg vom Zaun ab, führt uns durch ein dunkles Nadelwäldchen hinab zu einem Bächlein.

Umgestürzte Bäume und tiefer Schlamm liegen jetzt vor uns, doch zurück am Zaun entlang? Minchen sinkt fast bis zum Wurzelgelenk ein, kämpft sich aber tapfer voran. Mit saugenden platschenden Geräuschen setzt sie die Hufe ins Laub und zieht sie aus dem Morast wieder heraus. Irgendwo darin bleibt einer der Schuhe stecken, später auch der Socke. Aber es ist so tief, daß wir nicht umkehren, außerdem wird es langsam dunkel. Der Weg führt wieder leicht bergan, hier kann mein wackeres Pferdchen wieder besser laufen. Aus dem Wald heraus führt der Weg über einen Feldweg, auch der ist rutschig und sumpfig. DAs Wasser steht bis zur Oberfläche. Minchen grätscht mehrfach die Beine, bleibt aber auf den Füßen. Eigentlich ist sie doch ein sehr trittsicheres Pony und ich könnte viel mehr Vertrauen zu ihr haben, wenn das Gelände schwierig wird. Über das Feld erreichen wir den Weg, über den wir gekommen sind. Die Wildgänse kommen zur Ruhe und Minchen glücklich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben schreitet munter aus, ja trabt an und ist kaum zu halten. Sie hat in der Ferne im Dämmerlicht einen Reiter entdeckt und ist eifrig bemüht, diesen einzuholen. In geschwindem Trab über den Ackerrand rutscht sie kein einziges Mal weg. Endlich haben wir die Reiterin eingeholt, es ist eine Nachbarin. Zufrieden bummelt Minchen hinter der Araberstute her, wartet, bis die Reiterin ihre Nachrichten übermittelt hat und zusammen treten sie den Heimweg an. Inzwischen ist es Dunkel.

Noch ein Pferd begegnet uns an diesem Abend, ebenso reflektierend wie wir, das ist hier richtig in Mode! Bergab läuft Minchen der Araberstute fast davon, sie hat es noch nicht gelernt, bergab vorsichtig zu sein, es geht ja auch so schön leicht. Eilig hat sie es jetzt, drängelt die Stute mal wieder vom Weg ab, sobald sie auf einer Seite auftauscht, daran arbeiten wir noch. Am Stall angekommen trennen sich unsere Wege wieder, der Futtertrog ruft.

Und Morgen? Morgen gehe ich zu Fuß, Schuh suchen.
 
 

7. November 2002
Schuh tatsächlich gefunden. Meine Theorie stimmte, der Schuh steckte tatsächlich im Schlamm, allerdings hat sie den Socken nicht erst "später" verloren. Nachdem ich fast die ganze Runde zurück verfolgt habe, immerwieder im Matsch ausgleitend, fast aufgeben wollte, umkehre, den ganzen Weg noch einmal absuche, habe ich ihn schließlich gefunden. Ganz genau habe ich mir jede Hufspur angesehen, aber in keiner steckte der Schuh, ich nahm sogar ein Stöckchen hinzu, um im Morast zu stochern, stieß aber nur auf Erde und Blätter. Bestimmt ist er längst unter dem Herbstlaub begraben oder vom Bergbächlein davongespült. Oder ein Wanderer hat ihn als Souvenier eingesteckt oder ein Hund als Spielzeug verschleppt. Da bin ich wieder bei dem Socken, aber eigentlich müßte sie den Schuh ja zuerst verloren haben. Genau am Socken stößt mein Stöckchen auf Wiederstand, der Schuh? Beherzt krempel ich meine Ärmel hoch, greife in das gurgelnde Loch und tatsächlich, da ist er, gut 15 cm unter der Wasseroberfläche steckt er fest im Schlamm. Da kann der beste Schuh nicht halten, da hät auch grelle rote Farbe nichts genützt.
 
 
 

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