Während der Abend unter den Hufen Vergangenheit wird

Es ist Vollmond -
an diesem 19. November und wer einen Mondkalender besitzt wird feststellen, daß Vollmond erst morgen ist, aber wen stört das, wenn die milchweiße Scheibe nahezu kreisrund am Himmel hängt und die Landschaft in schwirrendes magisches Licht hüllt?

- nahezu
Die gleißend weiße Scheibe steht hoch am Himmel, keine einzige Wolke wagt es, sich zwischen uns und den Mond zu schieben. Nur etwas Hochnebel  schwebt in Fetzen unterm Himmelszelt, taucht den Baldachin in magisches weißes Licht. Fast taghell ist es, als müßte die Sonne jeden Moment über den Horizont klettern. Dabei ist es gerade 20 Uhr durch, November, Winterzeit, ein weihnachtlicher Spätherbst in europäischer Breite.
Minchen stutzt ein wenig, als ich sie kurzentschlossen von ihrem gut durchmischten Heuberg weghole, um mit ihr einen Ritt über die Höhen zu genießen. Keine Zeit vergeuden mit Putzen oder Satteln, nur Hufe auskratzen, Gebiß anwärmen und schon sind wir unterwegs. Eine Kuh steht mitten in der Wiese und starrt zu uns herüber, Minchen starrt zurück, versucht, mich von ihrer Gefährlichkeit zu überzeugen, zu überreden, doch lieber zu Heu und Stroh zurückzukehren, ich lasse sie denken, gucken, aber nicht wenden.
Der Wald ist schnell durchquert, bei diesen Lichtverhältnissen, das Laub am Boden, benötigen wir nicht einmal eine Taschenlampe. Silbrig schimmert der Pferdehals, leise bimmelt das Glöckchen, sanft plätschert das Wasser - nur ein paar Zentimeter Schnee und fast wäre es wie in einem traumhaften Wintermärchen. Dunkle Schatten fallen über uns her. Wir verlassen den Wald, folgen dem Höhenweg, der Mond erleuchtet fast blendend hell den Himmel, flirrendes Licht umgibt uns, immer weiter, mehrfach hätten wir ins Tal zum Stall abbiegen könne, doch erst die allerletzte Gelegenheit nehmen wir wahr, tauchen ein in den Hügelschatten, rutschend, naschend!, schlitternd den schlammigen Pfad hinunter. Kalt und silbern strahlt der Horizont, warme anheimelige orange rote Lichtflecken glühen vom Dorf herauf, eine Lichterkette brennt in einem Fenster der Hütten in den Nischen der Hügel, die Schornsteine rauchen, irgendwo schreit ein Käutzchen seinen Ruf in die Nacht. Ein weihnachtlich angehauchtes Szenario, in 12 Tagen ist der erste Advent, welches Türchen wird dann wohl geöffnet werden?
Zurück in die Wirklichkeit, plantschend, schlitternd und Gras rupfend findet Minchen ihren Weg hinab ins Tal, zurück in das Dorf. Der Schein der Straßenlaternen zerstört fast die gespenstische Stimmung, der Klang der Hufe bricht sich in den Häuserwänden, wird klappernd zurückgeworfen und entschwindet im Dunkel der Schatten. Still ist es, kaum ein Lebewesen rührt sich, dennoch flammen eine nach der anderen die bewegungsgesteuerten Lampen auf. Wir kehren zurück in das warme Neonlicht der heimatlichen Stalllampen. Kaum eine Menschenseele ist uns begegnet, gibt es etwas schönesres, als im magischen Licht des Vollmonds über die Höhen zu reiten, während die Nacht unter dem eigenen Schritte Vergangenheit wird?

Die Wirklichkeit
- am nächsten Morgen fällt mein Blick in den Kalender, es gab einen Grund, warum ich am Vorabend so früh am Stall war... wie ein Blitz fährt es durch meinen Kopf, gestern war Stammtisch! und ich habe es einfach vergessen.
 
 

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