- nahezu
Die gleißend weiße Scheibe steht hoch am Himmel, keine
einzige Wolke wagt es, sich zwischen uns und den Mond zu schieben. Nur
etwas Hochnebel schwebt in Fetzen unterm Himmelszelt, taucht den
Baldachin in magisches weißes Licht. Fast taghell ist es, als müßte
die Sonne jeden Moment über den Horizont klettern. Dabei ist es gerade
20 Uhr durch, November, Winterzeit, ein weihnachtlicher Spätherbst
in europäischer Breite.
Minchen stutzt ein wenig, als ich sie kurzentschlossen von ihrem gut
durchmischten Heuberg weghole, um mit ihr einen Ritt über die Höhen
zu genießen. Keine Zeit vergeuden mit Putzen oder Satteln, nur Hufe
auskratzen, Gebiß anwärmen und schon sind wir unterwegs. Eine
Kuh steht mitten in der Wiese und starrt zu uns herüber, Minchen starrt
zurück, versucht, mich von ihrer Gefährlichkeit zu überzeugen,
zu überreden, doch lieber zu Heu und Stroh zurückzukehren, ich
lasse sie denken, gucken, aber nicht wenden.
Der Wald ist schnell durchquert, bei diesen Lichtverhältnissen,
das Laub am Boden, benötigen wir nicht einmal eine Taschenlampe. Silbrig
schimmert der Pferdehals, leise bimmelt das Glöckchen, sanft plätschert
das Wasser - nur ein paar Zentimeter Schnee und fast wäre es wie in
einem traumhaften Wintermärchen. Dunkle Schatten fallen über
uns her. Wir verlassen den Wald, folgen dem Höhenweg, der Mond erleuchtet
fast blendend hell den Himmel, flirrendes Licht umgibt uns, immer weiter,
mehrfach hätten wir ins Tal zum Stall abbiegen könne, doch erst
die allerletzte Gelegenheit nehmen wir wahr, tauchen ein in den Hügelschatten,
rutschend, naschend!, schlitternd den schlammigen Pfad hinunter. Kalt und
silbern strahlt der Horizont, warme anheimelige orange rote Lichtflecken
glühen vom Dorf herauf, eine Lichterkette brennt in einem Fenster
der Hütten in den Nischen der Hügel, die Schornsteine rauchen,
irgendwo schreit ein Käutzchen seinen Ruf in die Nacht. Ein weihnachtlich
angehauchtes Szenario, in 12 Tagen ist der erste Advent, welches Türchen
wird dann wohl geöffnet werden?
Zurück in die Wirklichkeit, plantschend, schlitternd und Gras
rupfend findet Minchen ihren Weg hinab ins Tal, zurück in das Dorf.
Der Schein der Straßenlaternen zerstört fast die gespenstische
Stimmung, der Klang der Hufe bricht sich in den Häuserwänden,
wird klappernd zurückgeworfen und entschwindet im Dunkel der Schatten.
Still ist es, kaum ein Lebewesen rührt sich, dennoch flammen eine
nach der anderen die bewegungsgesteuerten Lampen auf. Wir kehren zurück
in das warme Neonlicht der heimatlichen Stalllampen. Kaum eine Menschenseele
ist uns begegnet, gibt es etwas schönesres, als im magischen Licht
des Vollmonds über die Höhen zu reiten, während die Nacht
unter dem eigenen Schritte Vergangenheit wird?
Die Wirklichkeit
- am nächsten Morgen fällt mein Blick in den Kalender, es
gab einen Grund, warum ich am Vorabend so früh am Stall war... wie
ein Blitz fährt es durch meinen Kopf, gestern war Stammtisch! und
ich habe es einfach vergessen.