Tuve

Tuve, ein patentes Kerlchen
Tuve hatte vor nichts Angst, aber wirklich vor garnichts. Katzen betrachtete er als willkommene Schmusegesellen, Hunde eher als feuchte Eindringlinge, aber solange sie nicht an seinem Stall schnuffelten, ließ er sie gewähren. Auch konnte ich mit ihm problemlos im Garten spazieren gehen, er lief nicht weg, bei Gefahr flüchtete er sich in meine Arme und auf Ruf kam er auch gleich angeflitzt. Im Zug betrachtete er neugierig die anderen Fahrgäste, blieb aber brav auf seinem Platz. Nur Autofahren mochte er garnicht. Er zog bei mir ein, als ich noch studierte. In einer winzigen Studibude kann man ja schlecht einen Hund oder eine Katze halten, aber ohne Haustier wollte ich nicht bleiben. Eine Freundin hatte sich ein Kaninchen geholt, und so beschloss ich, es ihr gleich zu tun. Ich hätte nie gedacht, daß Kaninchen so ansprechende und aufgeweckte Hausgesellen sind.
Hallo Tuve!
na, wer bist Du denn?
... schließlich sind wir Freunde
Tuve war ein sehr geselliges Kaninchen, ob nun tierischer oder menschlicher Besuch, hauptsache es ist was los. Auf unserer Abschiedsfete nippte er sogar am Rotwein.
Alleinsein behagte ihm auch überhaupt nicht. Nun geht jedes Studentenleben einmal zu Ende und der Ernst des Lebens beginnt. Tuve würde also viel allein sein. Drum beschloss ich, daß unbedingt ein zweites Kaninchen her müsse. Keine Zoohandlung wollte mir zu meinem inzwischen 5-jährigen kastrierten Rammler ein junges Kaninchen verkaufen - "das geht nicht gut", war die einhellige Ansicht.

Ein Versuch
Doch dann wurde ich arbeitslos und wagte trotzig den Versuch - schließlich würde ich nie wieder so viel Zeit haben, zwei Kaninchen aneinander zu gewöhnen.
Tuve war zunächst sehr neugierig, was der neue Stall zu bedeuten hätte, doch da sich darin nichts rührte (die Neue war wirklich sehr schüchtern), wurde es ihm schnell langweilig. Im gesetzten Alter liebte er seine Ruhe und schlief gerne leicht erhöht auf einer Holzkiste.
Eine gute Gelegenheit, die Neue auch einmal laufen zu lassen - blos die Neue wollte einfach nicht aus ihrem Karton heraus kommen. Da hab ich ihr den Karton einfach weggenommen, alle Sackgassen verstellt (damit im Falle eines Falles immer Fluchtwege offen stehen) und Tuves Stall zugemacht. Flicka (so nannten wir unser "kleines Mädchen") machte sich auf den Weg, das Zimmer zu erkunden. Tuve spitzte mal ein Ohr, zeigte ansonsten aber kein Interesse. Schließlich weckte der nun offene neue Stall seine Neugier und er inspizierte vor allem die Futterschale. Danach begab er sich zurück auf sein Schlafgemach. Flicka aber hatte nun ihn bemerkt, - uiiii, ein Kumpel! Sie war restlos begeistert, nahm Anlauf und sprang zum Tuve auf die Kiste ...und flog gleich auf der anderen Seite wieder herunter. Tuve, entsetzt über so viel jungentliches Ungestüm ergriff erst einmal die Flucht.
Flicka erholte sich schnell von dem Schrecken, beschäftigte sich anderweitig und Tuve kehrte auf seinen Schlafplatz zurück. Ich erklärte ihm, daß ER Privilegien genieße, und daß er seinen Lieblingsplatz gefälligst verteidigen solle. Flicka wurde nun doch einsam, nahm nochmal maß - diesmal etwas vorsichtiger - und landete erfolgreich halb auf halb neben dem ruhenden Tuve. Dieser war nun nur noch erstaunt über so viel Dreistigkeit, duldete aber Flickas Nähe.

<- Ups, hallo Tuve
Du hast da was Eßbares, das hätte ich gern ->
<- Laß sehen, ja, das ist eßbar
ich möchte aber auch ->

Freundschaft
So schlossen Tuve und Flicka Freundschaft - bis, ja, bis Flicka geschlechtsreif wurde. Da verlangte sie von Tuve, daß er mit ihr Kinder zeugen solle, das konnte er aber garnicht! Da nahm sie die Sache selbst in die Hand und rammelte ihn bis zur Atemlosigkeit, so daß ich eingreifen mußte und die zwei von Zeit zu Zeit trennte. Ja, es wurde so schlimm, daß sie anfing, wie ein Rammler zu markieren. Da wurde es mir zu bunt und ich brachte sie zum Tierarzt, damit dieser sie sterilisiere, erhielt aber eine Abfuhr: 60% überleben die Operation nicht - nun, das wollte ich auch nicht. Der 4. Tierarzt hatte schließlich die rettende Idee, spritzte meiner Rammlerin Perlutex und das Problem war gelöst - Flicka wußte wieder, daß sie ein Mädchen ist und wie sich ein solches zu benehmen hat. Ruhiger wurde sie auch - und anhänglich. Das nun war Tuve sehr recht.
Tuve und Flicka wurden ganz dicke Freunde und sind es bis zu Tuves viel zu frühem Tod auch geblieben.

Tuve ist am Ostersamstag 2001 in den Himmel gezogen.

 

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